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Auswirkungen der Trennung: Tragik und Gefahr
Die Tragik der Kirchenspaltung erweist gerade im Persönlichsten, wie es Ehe und Familie darstellen, ihre stärkste Macht. Hier erleben viele Menschen die jahrhundertelange Entfremdung furchtbarer als im öffentlichen Verhältnis der Kirchen selbst.
ÖKUMENE IST HOFFÄHIG GEWORDEN - auf allen Veranstaltungen und Ebenen. Wir spüren aber auch, dass dieses Klima nicht ungefährlich ist. Schwerwiegende Differenzen, über die noch zu reden sein wird, werden eher zurückgestellt. Sie stören und sind lästig. Man geht ihnen aus dem Weg. Hier gibt es gewiss auch eine falsche Höflichkeit. Man hat sich dann in dem, was erreicht worden ist, recht und schlecht eingerichtet. Es lässt sich nicht leugnen: Je geringer die Differenzen geworden sind, umso schwieriger kann der Dialog werden.
DIESE OBJEKTIV HEIKLE SITUATION kann leicht zu falschen Grundeinstellungen führen. Man verfällt in Resignation, weil der ökumenische Frühling vorüber ist. Vielleicht hat man da und dort auch zu sehr und auch zu unreflektiert auf irreale Hoffnungen gesetzt. Viele sehen nur noch einen Stillstand auf dem Weg zur Einheit; der offizielle Ökumenismus bestätige nur sich selbst; darum sei der Rückzug auf kleine, lebendige Basisgruppen die einzige Rettung; die etablierten Kirchen seien letztlich reformunfähig; eine Stärkung dieses Ökumenismus sei - so heißt es - sogar unerwünscht, weil er nur die konservativen Kräfte in den Kirchen stütze.
Glaubwürdigkeit der Ökumene
Es gehört zur Nüchternheit und auch Glaubwürdigkeit der ökumenischen Arbeit, dass man sich des bleibenden Wegcharakters bewusst sein muss. Dabei werden Enttäuschungen und auch manchmal rückläufige Tendenzen unvermeidlich sein. Es gibt im Leben des Geistes und des Glaubens nie bloß breite Königsstraßen ohne verschlungene Pfade, Umwege und Holzwege, Abwege und Irrwege.
Dennoch wäre es fatal, wenn eine resignierende Grundstimmung sich gegen ihre letzte Absicht daran beteiligen würde, das immer noch brennende ökumenische Feuer löschen zu helfen. Wer die gewachsenen Differenzen in ihrer Tiefenwirkung zu gering schätzt und auf ihre ernsthafte Aufarbeitung meint verzichten zu können, wird nur Scheinerfolge erreichen können. Nach meiner Erfahrung sind jedoch nicht gedeckte Schecks in der Ökumene besonders gefährlich, weil nach ihrer Entlarvung die Enttäuschung entsprechend groß ist.
Ziel ökumenischer Bemühungen
Ziel ist eine theologische Übereinstimmung um der kirchlichen Einheit willen. Die Übereinstimmung muss freilich nicht alle Verschiedenheiten aufheben, sondern will nur jene überwinden, die kirchliche Gemeinschaft verhindern. Wir sprechen so von kirchentrennenden Differenzen.
Unter diesen Voraussetzungen bezieht sich der evangelisch-katholische Dialog vor allem auf die drei Gebiete:
- Eucharistie
- Kirchesein
- Amt
Es lässt sich nicht übersehen, dass diese und andere Fragen, vor allem auch der Marien- und Heiligenverehrung, durch die am 31. Oktober 1999 unterzeichnete Vereinbarung zur Rechtfertigung zwischen dem Lutherischen Weltbund und dem sogenannten "Einheitsrat" in Rom eine ganz neue Dimension erhalten haben. Hier wurde ein Einvernehmen gefunden, trotz verbleibender Unterschiede im Einzelnen sind in Grundwahrheiten des Rechtfertigungsverständnisses keine kirchentrennenden Hindernisse gegeben.
Gefahren heute
WIR SIND HEUTE IN GEFAHR, eine Ökumene ohne theologischen Tiefgang zu betreiben. Dann belässt man es auch leicht bei den üblichen Forderungen an den ökumenischen Partner. Man hat dann selbstverständlich auch das Gefühl, es herrsche ein Stillstand, obgleich dies gar nicht so ist.
Wie soll es weitergehen?
Wie soll es weitergehen? Zunächst einmal müssen wir offen und aufrichtig die Situation bedenken. Ökumenische Gewissenserforschung tut Not. Aber dann müssten wir auch endlich intensiver die Themen angehen, die wir schon seit längerer Zeit immer wieder umgehen, wenngleich durchaus in der Ökumenischen Theologie einiges geschieht.
IM LAUF DER LETZTEN JAHRE ist mir immer wieder ein wichtiges Grundgesetz des ökumenischen Miteinanders in den Sinn gekommen. Gerade wenn man das eigene Profil stärker betont, wie es auch z.B. durch die Hervorhebung der Luther-Übersetzung der Bibel geschieht, gibt es ein gutes Kriterium, nämlich ob wir uns freuen können an der Stärke des anderen, nicht nur an Bach, sondern am Wiedererstehen der Frauenkirche in Dresden. Aus dieser Anerkennung des anderen und vielleicht zuerst oder manchmal auch auf längere Strecke Fremden wird echte und nachhaltige Gemeinschaft, die uns im Geist Jesu Christi enger zusammenführt.
Es bleibt das Gebet für die Einheit. Nichts ist wichtiger als die gemeinsame Fürbitte an den Herrn.
Es gibt vieles, was wir sofort könnten und was nicht verboten ist. Ich denke an eine gemeinsame Lesung der Heiligen Schrift, gerade auch im Blick auf den Alltag des Glaubens. Warum schweifen wir oft in die Weite, wo das Gute doch so naheliegt? Warum nutzen wir nicht auch das, was sofort und ohne Konflikt angepackt werden kann. Ökumene ist nichts Extravagantes, sondern muss intensiv den Alltag beherrschen.
Die noch zu lösenden Probleme sind so schwierig,
dass wir viel Zeit, Geduld und Energie brauchen,
auch guten Willen, um weiterzukommen.
Die leichter zu lösenden Probleme sind gelöst,
die Zeit der schnellen Erfolge ist damit vorbei.
Johannes Friedrich,
Landesbischof der evang. Kirche in Bayern von 1999 bis 2011